Schon eine ganze Ewigkeit tüftelte die Menschheit daran, bodengebundene Blindenleitsysteme zu schaffen, mit deren Hilfe sich blinde Menschen räumlich fortbewegen können.

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In Japan wurden taktile Bodenstrukturen in den 1960ger Jahren erstmals für diesen Zweck entwickelt und in Kombination mit Blindenstöcken gezielt zur Führung der Betroffenen eingesetzt. Zwischenzeitlich hat sich annähernd weltweit die Nutzung derartiger bodengebundener Blindenleitsysteme verbreitet.
Gerade im Zeitalter der Digitalisierung entstehen immer wieder neue Angebote, die blinden und sehbehinderten Menschen helfen sollen, die Orientierung zu ermöglichen und damit die Fortbewegung zu erleichtern.
Bisher ist es jedoch mit den digitalen Angeboten nicht gelungen, die Vorteile der bodengebundenen Blindenleitsysteme, zu übertreffen, sodass sie diese generell ersetzen könnten. Allerdings ist es völlig unumstritten, dass digitale Angebote durchaus wertvolle Ergänzungen der bodengebundenen Blindenleitsysteme, zur Vermittlung zusätzlicher Informationen für die Orientierung, darstellen können.
Inhalt des Artikels
- 1 Was sind taktile Blindenleitsysteme ?
- 2 Wozu werden Blindenleitsysteme benötigt?
- 3 Grundprinzipien der Orientierung
- 4 Grundsätze zur Blindenleitsystemgestaltung
- 4.1 Soviel wie möglich, aber nur soviel wie nötig
- 4.2 Lückenlose Gestaltung für bodengebundene Blindenleitsysteme
- 4.3 Bundesweit einheitliche Gestaltung für bodengebundene Blindenleitsysteme
- 4.4 Einheitliche Blindenleitelementgestaltung
- 4.5 Was ist der taktile Kontrast?
- 4.6 Welche Rolle spielen Farben und Kontraste?
- 4.7 Planung
- 5 Wo findet man technische Regelungen in Bezug auf bodengebundene Blindenleitsysteme?
Was sind taktile Blindenleitsysteme ?
💡 Das taktile Blindenleitsystem ist ein, aus bodengebundenen standardisierten Bodenindikatoren bestehendes, System der Wegeführung, welches blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen zur Warnung, Information, Leitung und Orientierung dient.
Wozu werden Blindenleitsysteme benötigt?
Menschen mit vermindertem oder fehlendem Augenlicht sind in ihrer Orientierung und damit in ihrer räumlichen Mobilität wesentlich eingeschränkt. Beim Betreten des Bahnhofsvorplatzes mit einem Blick zu erfassen, wo sich der Taxistand oder die Bushaltestelle befindet, geht nicht. Insbesondere im öffentlichen Verkehrsraum sind blinde und sehbehinderte Menschen durch Umwelteinflüsse, wie nicht vorhandene Raumbegrenzungen, hoher Verkehrslärm oder nur optische Informationsangebote, großen Gefahren ausgesetzt. Ähnlich verhält es sich in großen und unübersichtlichen Gebäuden, wie beispielsweise in Bahnhöfen, Messehallen und Abflughallen von Flughäfen.
Für die Orientierung nutzen blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen taktile, akustische und insofern es ihnen noch möglich ist, visuell wahrnehmbare Informationen aus der gebauten und natürlichen Umwelt – sogenannte „sonstige Leitelemente“ wie beispielsweise Bordstein- oder Rasenkanten. Da die sonstigen Leitelemente nicht immer zuverlässig nutzbar und eindeutig interpretierbar sind, benötigen sie eindeutige Orientierungshilfen, um bestehende Probleme reduzieren zu können. Hier stellen bodengebundene Blindenleitsysteme mit ihren standardisierten Bodenindikatoren eine sehr hilfreiche Lösung dar.
Grundprinzipien der Orientierung
1. Prinzip – leichte Auffälligkeit Eine schnell wahrzunehmende Orientierungshilfe muss über eine entsprechende Auffälligkeit verfügen. Dabei ist wahrnehmungspsychologisch zu beachten, dass der Mensch mit einer Erwartungshaltung, also mit Gewohnheiten, arbeitet, die er mit seinen Sinnen überprüft. 2. Prinzip – Erkennbarkeit Die wahrzunehmende Orientierungshilfe muss eine Erkennbarkeit beinhalten. Das heißt, es muss eindeutig sein was sie vermitteln soll. 3. Prinzip – Kenntnisse über die Orientierungshilfe Ein weiteres wesentliches Grundprinzip ist die Verfügbarkeit von Kenntnissen zur jeweiligen Orientierungshilfe. Die Beachtung dieser Grundprinzipien sind die elementare Voraussetzung für die Gestaltung und anschließende Nutzung bodengebundener Blindenleitsysteme.
Grundsätze zur Blindenleitsystemgestaltung
Soviel wie möglich, aber nur soviel wie nötig
So ist beispielsweise eine punktuelle Gestaltung eines bodengebundenen Blindenleitsystems zum Auffinden der seitlich am Gehwegrand gelegenen Bushaltestelle nötig (vgl. Bild 2). Dagegen ist zur Fortbewegung in schmalen Unterführungen oder Fluren ein Blindenleitsystem gegebenenfalls nicht nötig, da sich die Betroffenen am Verlauf der von Hindernissen frei gehaltenen Wände orientieren können.

Die Entscheidung des Einsatzes und des Umfangs von bodengebundenen Blindenleitsystemen ist anhand der örtlichen Gegebenheiten zu entscheiden.
Lückenlose Gestaltung für bodengebundene Blindenleitsysteme
Ein wesentlicher Grundsatz für die Anordnung von bodengebundenen Blindenleitsystemen ist deren lückenlose Gestaltung zur Sicherstellung der Orientierung und Leitung blinder und sehbehinderter Menschen. In die Gestaltung sind die akustischen und taktilen Einrichtungen an Straßenverkehrs-Lichtsignalanlagen sowie taktile Handlaufbeschriftungen einzubeziehen.
Bei der Blindenleitsystemgestaltung können neben standardisierten Bodenindikatoren auch zur Ergänzung sonstige Leitelemente genutzt werden (vgl. Bild 3).

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Wichtig:
Die gezielte Verwendung von sonstigen Leitelementen sollte nur dann erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass die drei Grundprinzipien für die Orientierung gewährleistet sind.
Bundesweit einheitliche Gestaltung für bodengebundene Blindenleitsysteme
Blinde und sehbehinderte Menschen sind in den zurückliegenden Jahren immer mobiler geworden. Ihre Reisetätigkeit, aus beruflichen und touristischen Gründen, hat deutlich zugenommen. Daher muss es ihnen überall möglich sein, sich weitestgehend selbständig fortbewegen zu können.
Dies erfordert eine grundlegende Wiedererkennbarkeit der Blindenleitsystemelemente und deren Funktion für ortsunkundige Nutzer.
In diesem Zusammenhang ist es unverzichtbar, dass eine bundesweit einheitliche Gestaltung von Blindenleitsystemen und deren Elementen erfolgt. Grundlage bildet hierfür der stets aktuelle anerkannte Stand der Technik der in der DIN 32984 „Bodenindikatoren im öffentlichen Raum“ durch eine gesellschaftlich breite Öffentlichkeit festgelegt wurde. Die Erstellung von Leitfäden für die barrierefreie Verkehrsraumgestaltung durch die einzelnen Bundesländer führt häufig zu Abweichungen von den normativen Vorgaben. Damit wird die bundesweit einheitliche Blindenleitsystemgestaltung, die von den Nutzern dringend benötigt wird, erheblich erschwert. Man stelle sich vor, was ein Chaos entstünde, wenn jedes Bundesland seine eigene Straßenverkehrsordnung hätte.
Einheitliche Blindenleitelementgestaltung
Den einzelnen Blindenleitsystemelementen ist eine spezielle Funktion zugeordnet. Diese muss vom Nutzer mit den Füßen ertastbar und/oder den Blindenlangstock „ablesbar“ sein.
1. die Sicherstellung der Bedeutung der einzelnen Blindenleitsystemelemente (Zeichencharakter) z. B. durch Oberflächenprofile, der Profilausrichtung und Größe,
2. eine bundesweit wiederkehrende Grundsystematik bei der Anordnungsgestaltung sowie
3. des Verlegeorts der Blindenleitsystemelemente.
Daraus ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, einer einheitlichen Gestaltung der einzelnen Blindenleitsystemelemente und deren exakten Verlegung.
Was ist der taktile Kontrast?
Es ist sicher zu stellen, dass Blindenleitsysteme und ihre Elemente in ausreichendem Maß mit den Füßen ertastet und mit dem Blindenlangstock taktil erkennbar sind.
Die Bodenindikatoren für die Blindenleitsystemelemente sind im Außenbereich generell talbündig und je nach Funktion mit einer Noppen- oder Rippenstruktur zu verlegen. Daher dürfen sie nicht ohne weiteres in grobe oder stark strukturierte Bodenbeläge verlegt werden. Hier müssen, zur Sicherstellung des taktilen Kontrastes, fugenarme und plane Bodenbeläge zwischen den Blindenleitsystemelementen und dem angrenzenden Bodenbelag angeordnet werden.
Welche Rolle spielen Farben und Kontraste?
Die im Blindenleitsystem eingesetzten Bodenindikatoren müssen neben einer taktilen Erkennbarkeit über eine visuelle Wahrnehmbarkeit zum unmittelbar angrenzenden Bodenbelag verfügen.
Zur Herstellung einer ausreichenden visuellen Wahrnehmbarkeit kommt dem Hell-/Dunkelkontrast eine wichtige Rolle zu. Daneben kann die visuelle Wahrnehmbarkeit durch die Wahl geeigneter Farben eine zusätzlich wirkungsvolle Unterstützung erfahren.
Werden in dunkle (z. B. anthrazitfarbene) Bodenbeläge helle (z. B. weiße) Blindenleitsystemelemente verlegt, wobei durch den Hell-/Dunkelkontrast und die Farbe ein Leuchtdichtekontrast von mindestens 0,4 zwischen Blindenleitsystemelementen und angrenzenden Bodenbelag erreicht wird, ist die Anordnung von Begleitstreifen zur Herstellung visueller Kontraste nicht erforderlich. Wird der Kontrastwert von mindestens 0,4 jedoch nicht erreicht, sind zwischen den Blindenleitsystemelementen und dem Bodenbelag Begleitstreifen zur Herstellung visueller Kontraste erforderlich.
Natürlich besteht auch die Möglichkeit, in helle Bodenbeläge dunkle Blindenleitsystemelemente zur Herstellung eines ausreichend visuellen Kontrastes zu verlegen. Es gelten hier ebenfalls die soeben beschriebenen Anforderungen an die Kontrastgestaltung (vgl. Bild 4).

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Farben haben, neben der Bedeutung zur Kontrastgestaltung, auch eine „farbpsychologische“ Wirkung. So gehört die Farbe „Weiß“ zu den Signalfarben und wird daher beispielsweise von der Deutschen Bahn auf Bahnsteigen, in Kombination mit dem Blindenleitstreifen parallel zur Bahnsteigkante, zur Kennzeichnung des Gefahrenbereiches an der bahnsteigabgewandten Seite bewusst eingesetzt. Damit wird für alle Reisenden, aber auch gleichzeitig für sehbehinderte Menschen, hier die Kennzeichnung des Gefahrenbereichs nochmals aus farbpsychologischer Sicht betont. Die Aufmerksamkeit erhöht sich für alle Reisenden und der Blindenleitstreifen erhält eine größere Bedeutung. Offen dagegen wäre die Frage, ob man mit einem schwarzen Blindenleitstreifen in hellen Bahnsteigbelägen, hier die gleiche Aufmerksamkeit bei allen Reisenden erreichen würde.
Planung
Bereits bei der Planung von öffentlichen Verkehrs- und Freiräumen sowie von öffentlichen Gebäuden ist an die Gestaltung notwendiger Blindenleitsysteme zu denken. Spätere Nachrüstungen sind in der Regel nicht nur kostenintensiv, sondern lassen sich häufig nur mit erheblichen Schwierigkeiten nachrüsten oder sind gar nicht mehr realisierbar.
Damit eine spätere möglichst große Nutzbarkeit der Blindenleitsysteme gegeben ist, empfiehlt es sich dringend, die Blindenselbsthilfe in die Planung einzubeziehen. So können Fehler, die eine Nutzbarkeit verhindern, schon rechtzeitig berücksichtigt und ausgeschlossen werden. Erkundigen Sie sich bei der Blindenselbsthilfe nach den Experten für das barrierefreie Bauen.
Wo findet man technische Regelungen in Bezug auf bodengebundene Blindenleitsysteme?
DIN 32984
Die DIN 32984 regelt: 1. die Oberflächenstrukturgestaltung von Bodenindikatoren, Die DIN 32984 enthält Angaben zur visuellen und taktilen Wahrnehmbarkeit von Bodenindikatoren. In Bezug auf die Bodenindikatoren sowie die sonstigen Leitelemente werden mit Hilfe der DIN 32984 die entscheidenden Anforderungen zur barrierefreien Gestaltung aus der Normenreihe DIN 18040 ergänzt und konkretisiert.
2. die Bestimmung von Leuchtdichte, Maße und Form der Bodenindikatoren,
3. die Gestaltung von Blindenleitsystemelementen,
4. die Anforderungen an Bodenindikatoren sowie sonstige Leitelemente,
5. Einsatz von Bodenindikatoren bei nicht ausreichend vorhandenen oder fehlenden sonstigen Leitelementen,
6. den favorisierenden Einsatz von Bodenindikatoren zur Kennzeichnung von Gefahrenstellen.
DIN 18040
Teil 1: „Öffentlich zugängliche Gebäude“ (DIN 18040-1:2010-10) In dieser Normenreihe werden je nach Anwendungsbereich zur Herstellung der Barrierefreiheit, die Einsatzbereiche und Ausstattungen mit Bodenindikatoren bzw. Blindenleitsystemelementen beschrieben. Daher steht die DIN 32984 in enger Verbindung mit dieser Normenreihe.
Teil 2: „Wohnungen“ (DIN 18040-2:2011-09)
Teil 3: „Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum“ (DIN 18040-3:2014-12)
Worin liegen die häufigsten Nutzungsschwierigkeiten für bodengebundene Blindenleitsysteme?
Ein großer Teil der Nutzungsschwierigkeiten liegt in der fehlerhaften Verlegung falsch eingesetzter Oberflächenprofile und einer nicht ausreichenden visuellen Kontrastgestaltung der Blindenleitsystemelemente. In der Folge führt dies zu Irritationen und Fehlinterpretationen mit teilweise schwerwiegenden Folgen für die Nutzer.
Als problematisch ist aber auch die oftmals gedankenlose Verstellung der Blindenleitsysteme mit Hindernissen zu nennen. Nicht selten sind die Blindenleitsysteme durch parkende Fahrzeuge versperrt. Vielerorts ist auch zu beobachten, dass sie gern als Abstellfläche für alle möglichen Gegenstände genutzt werden. Schnell ist die Orientierung verloren und ein selbständiges Zurückkehren für blinde Menschen auf den bekannten Weg daher nicht möglich.
Kritisch ist ebenfalls eine häufig mangelhafte Baustellenabsicherung durch „Flatterleinen“ auf Gehwegbereichen, insbesondere im Bereich von Blindenleitsystemen, zu erwähnen. „Flatterleinen“ sind mit dem Blindenlangstock nicht wahrnehmbar und zeigen blinden Menschen die Absperrung und somit den Gefahrenbereich nicht an. Hier sind für eine sichere Baustellenabsperrung feste und gegen das Anstoßen mit dem Blindenlangstock widerstandsfähige Absperrvorrichtungen einzusetzen (vgl. Bild 5).

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💡 Da Blindenleitsystemelemente nicht selbsterklärend sind, sollte deren Nutzung in einem Mobilitätstraining erlernt werden.
Für eine gefahrenlose und sichere Orientierung sind die Blindenleitsysteme und deren Blindenleitsystemelemente bundesweit einheitlich, entsprechend des aktuellen Standes der Technik, zu gestalten. Neben der Notwendigkeit einer durchdachten Planung und fachlich korrekten baulichen Ausführungsgestaltung müssen Blindenleitsysteme generell von Hindernissen freigehalten werden. Dies gilt für das Parken von Fahrzeugen, für das Abstellen aller möglichen Gegenstände ebenso, wie für die Außengastronomie oder Geschäftsauslagen.
Weiterführende Links:
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- Bodenindikatoren für Sicherheit und Orientierung
- Taktile Elemente des bodengebundenen Blindenleitsystems
- Anwendung und Handhabung der Norm DIN 18040 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen“ Teil 1 – „Öffentlich zugängliche Gebäude“
- Erschließung von Wohngebäuden nach DIN 18040 Teil 2 „Wohnungen“
- Abstellanlagen für Elektrokleinstfahrzeuge
- Was ist Mobilität?
- Hintergrundaspekte und Verhaltensweisen von Fußgängern und Radfahrern, die sichere Fußwege verhindern
- „Grünpfeil“ oder „Grüner Pfeil“? – Die „Grünpfeil-Regelung“
- Signale im Fahrgasteinstiegsbereich von Eisenbahnfahrzeugen
- Sichere Fußwege – der Fußweg gehört dem Fußgänger
- Wo bitte ist die Ampel? – Barrierefreie Ampeln im Straßenverkehr
- Poller im Straßenraum – bieten Sicherheit und können doch gefährlich sein
- Die Bordsteinkante – ein Sorgenkind?
- Visuelle Bodeninformationen und Markierungen im öffentlichen Raum
- Wie sicher sind geschützte Kreuzungen?
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© Mobilfuchs, 01.07.2020, aktualisiert am 22.09.2023
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