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Mobilitätsverbesserungen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sind notwendig!

    • Mobilitätsverbesserungen für kognitiv Beeinträchtigte, insbesondere für Menschen, die mit dieser Thematik noch nicht konfrontiert wurden, ist das bestimmt ein schwieriges Thema. Sicher ist dies auch der Tatsache geschuldet, dass eine kognitive Beeinträchtigung nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist.

  • Bild 1 zeigt links einen älteren Mann, in der Mitte lila Fragezeichen und rechts die Silhouette eines Gehirns in lila.
    Bild 1: Älterer, überforderter Mann
    Photo by Gerd Altmann on Pixabay
    • Die Schwierigkeiten die Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen bei der Teilhabe am öffentlichen Straßenverkehr sowie bei der Nutzung des ÖPNV haben, können zu beträchtlichen Benachteiligungen für die Betroffenen führen. Bestehende Barrieren zwingen sie Strategien zu entwickeln, die keine echte Problemlösungen darstellen, sondern von den Betroffenen ein unverhältnismäßig hohes Maß von Zeit, Konzentration und Kraft fordern.
    • Um für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eine selbständige Mobilität sicherzustellen, gilt es eine Reihe von Gestaltungsanforderungen zu erfüllen, von denen auch gleichzeitig eine Vielzahl von anderen Personengruppen profitieren können.
    • Wir möchten mit dieser Webseite die nicht immer leicht zu erkennenden Zusammenhänge der bestehenden Schwierigkeiten etwas beleuchten und würden uns freuen, wenn das Verständnis geweckt und die Bedarfe der Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen künftig bei der Planung und Gestaltung des öffentlichen Verkehrsraums sowie des ÖPNV größere Berücksichtigung finden.

Was versteht man unter einer kognitiven Beeinträchtigung?

Bei einer kognitiven Beeinträchtigung handelt es sich um einen zeitweise oder andauernden Funktionsverlust der geistigen Leistungsfähigkeit mit einer unterschiedlich starken Ausprägung.

Folgen kognitiver Beeinträchtigungen

Kognitive Beeinträchtigungen können zu mehr oder weniger stark ausgeprägten Folgen führen. Zu den wesentlichsten gehören:

 Fehlende oder eingeschränkte Adaptationskompetenzen

Von fehlenden Adaptationskompetenzen spricht man, wenn es den Betroffenen nicht möglich ist, sich an die jeweiligen Umweltverhältnisse anpassen zu können.

 Fehlendes oder eingeschränktes Reflexionsvermögen

Beim fehlendem Reflexionsvermögen handelt es sich um die nicht vorhandene Fähigkeit, das eigene Verhalten wahrzunehmen und in Bezug zur Umwelt kritisch zu hinterfragen. Dies ist jedoch eine grundlegende Voraussetzung, um aus gesammelten Erfahrungen zu lernen.

 Fehlende oder eingeschränkte Antizipation

Bei einer ungenügend ausgeprägten Antizipation handelt es sich um eine
fehlende oder eingeschränkte vorherige Erkennbarkeit der Folgen von Handlungen.

 Handlungsunsicherheit

Werden beispielsweise negative Erfahrungen infolge von Unfällen gesammelt, so kann dies unwillkürlich zu Handlungsunsicherheiten führen. Dies zeigt sich beispielsweise bei einer zögerlichen oder unsicheren Überquerung einer Fahrbahn.

 Häusliches Umfeld

Mit Abnahme der kognitiven Ressourcen erfolgt eine zunehmende Einschränkung der außerhäuslichen Mobilität und Aktivitäten, wodurch das nahe Wohnumfeld für die betroffenen Personen an Bedeutung gewinnt.

In Abhängigkeit vom kognitiven Status resultiert in Bezug auf die außerhäuslich investierte Zeit (z. B. weniger Zeit außer Haus, weniger Zeit in Bewegung), eine Zunahme der Inaktivität.

 Verkehrsmittelwahl

Die Wahl der Verkehrsmittel (ÖPV, Pkw, Fahrrad, Fahrdienste, Fuß) für die Nutzung von Aktivitäten, sind kognitiv eher weniger anspruchsvoll und entsprechen mehr routinierten Handlungen bzw. Abläufen.

Barrieren aus Sicht der Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen

Orientierung an unbekannten Haltestellen und Bahnhöfen 

Unbekannte Haltestellen und Bahnhöfe erfordern von allen Nutzern

a) eine höhere Anforderung an die Orientierungsfähigkeit sowie
b) ein größeres Maß an Flexibilität.[/su_box]

Schwierigkeiten:
   

In Bezug auf die Orientierung an unbekannten Haltestellen und Bahnhöfen, haben Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen besonders Schwierigkeiten bei

a) Verspätungen,
b) unvorhergesehenen Verbindungsausfällen und
c) unvorhergesehenen Gleiswechseln.

Bild 2 zeigt eine Person von hinten und über ihr sind in je einer Blase Symbole von WhatsApp, Zug, Parkplatz und Rollstuhlfahrer abgebildet.
Bild 2: überforderte Person
Photo by Mike Renpening on Pixabay

Häufig begründen die Betroffenen diese Schwierigkeiten mit

a) Ängsten, den Zug zu verpassen,
b) Ängsten, an der falschen Haltestelle auszusteigen oder
c) Ängsten, das richtige Gleis nicht zu finden. 

Diese Schwierigkeiten treten innerhalb des unmittelbaren Wohnumfeldes, in welchem die Betroffenen ihre zu nutzenden Haltestellen und Bahnhöfe kennen, eher nur punktuell auf.

Maßnahmen zur Orientierungserleichterung:
   

Maßnahmen von zentraler Bedeutung, die Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen helfen die Orientierung an unbekannten Haltestellen und Bahnhöfen zu erleichtern, sind insbesondere

a) eine Verbesserung bzw. eine leicht erklärbare Gestaltung der betrieblichen Abläufe sowie
b) die Vermeidung von betrieblichen Störungen.

Fahrplangestaltung 

Für viele Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sind Fahrpläne oftmals

a) zu klein geschrieben,
b) zu komplex (Was sind für mich die richtigen Informationen?) und
c) zu unübersichtlich,

was ihnen eine selbstständige Auseinandersetzung mit den Fahrplänen erschwert und die erforderliche Informationsableitung nicht ermöglicht.

Fehlende oder eingeschränkte Lesekompetenzen können diese Schwierigkeiten verschärfen.

 

Daraus lassen sich folgende erforderliche Maßnahmen ableiten:

a) eine einfache und klare Strukturierung der Fahrpläne,
b) die Notwendigkeit der Wahl einer angemessenen Schriftgröße- und Kontrastgestaltung,
c) eine Verbesserung der Lesesituation z. B. durch eine angemessene Anordnungshöhe des Fahrplanaushangs (mittlere Lesehöhe in 130 cm und deren Oberkannte in max. 160 cm über OFF), Beleuchtung und der Vermeidung spiegelnder Abdeckungen bei den Aushängen.

💡 Diese zu erfüllenden Maßnahmen lassen unschwer erkennen, dass sich gleichzeitig damit die Lesbarkeit für Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen verbessern lässt. Zudem erhöht sich die Attraktivität für alle Fahrgäste im gleichen Maße.

Orientierung in öffentlichen Verkehrsmitteln

In öffentlichen Verkehrsmitteln, wie Bussen, Straßenbahnen und Zügen, ergeben sich für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen Schwierigkeiten aus

a) fehlenden visuellen Anzeigen und
b) fehlenden Ansagen des nächsten Halts.

Dies gilt insbesondere für den Busverkehr im ländlichen Raum.

In der Folge kann der Ausstieg an der gewünschten Haltestelle sich problematisch gestalten. Ein verpasster Ausstieg ist nicht auszuschließen, da eine rechtzeitige Betätigung der Haltewunschtaste nicht immer gegeben ist. Ein Ausstieg an der folgenden Haltestelle, in Verbindung mit der erforderlichen Rückfahrt, stellt für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eine erneut unlösbare Herausforderung dar.

 

Daraus ergeben sich folgende unentbehrlichen Maßnahmen:

a) Sicherstellung von akustischen und visuellen Fahrgastinformationen bzw. Haltestellenansagen in allen ÖPV-Fahrzeugeneinfache (Zwei-Sinne-Prinzip) sowie
b) Außenansagen an Fahrzeugen über Linie und Fahrziel.

Informationsdefizite

Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen beklagen oftmals fehlende Kenntnisse über bestehende Hilfsangebote, wie beispielsweise

a) bestehende Begleitdienste im ÖPNV,
b) die Mobilitäts-Servicezentrale der Deutschen Bahn sowie
c) die Möglichkeiten einer Umsteigehilfe bei der Deutschen Bahn.

In deren Folge bestehen nicht nur Informationsdefizite, sondern es kommt auch zur Verhinderung der Nutzbarkeit vorhandener Assistenzangebote. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, auch für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, den Informationszugang zu verbessern und auszubauen.

Infrastruktur im ländlichen Raum (Sozialraum)

    • Derzeit ist der ländliche Raum geprägt von mangelhaften Angeboten des öffentlichen Personenverkehrs.
    • Das zu beklagende mangelhafte Angebot des öffentlichen Personenverkehrs ist ungeeignet, um eine angemessene und zweckentsprechende Alltagsgestaltung zu ermöglichen. Für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen bedeutet dies, auf eine verstärkte Nutzung von Fahrdiensten, unter anderem durch Eltern oder Trägerinstitutionen, zurückgreifen zu müssen. Dies führt Betroffene jedoch wiederrum in ein Abhängigkeitsverhältnis, was einer selbständigen Lebensführung entgegensteht.
    • Existieren für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen keine alternative Zugriffsmöglichkeiten auf einen Pkw oder ein Fahrrad, erfolgt häufig ein Ausschluss von der sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe.
    • Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Verbesserung der Angebote des öffentlichen Personenverkehrs, insbesondere im ländlichen Raum. Auch diese Maßnahme zeigt, dass es hier keiner Sonderlösung bedarf. Von attraktiven Angeboten können breite Bevölkerungskreise gleichzeitig profitieren.

Fahrkartenpreise der öffentlichen Verkehrsmittel

 

    • Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen verfügen in der Regel nur über geringe finanzielle Ressourcen, sodass, gemessen an den stetig steigenden Fahrpreisen des öffentlichen Personenverkehrs, diese zu hoch sind. Daher müssen die Betroffenen zwangsweise auf die Fahrdienste beispielsweise von Eltern oder Trägerinstitutionen bzw. alternativ auf das Fahrrad oder, dort wo Wegestrecken zumutbar sind, auch auf eine Wegebewältigung per Fuß zurückgreifen.
    • In den Fällen, wo diese Gegebenheiten für eine Mobilität nicht gegeben sind, erfolgt keine oder nur eine seltene Nutzung von Verkehrsmitteln. Bei diesem Personenkreis ist auffällig, dass eine Barriere bei der Pflege sozialer Kontakte und damit für die gesellschaftliche Teilhabe besteht.
    • Die Sicherstellung einer unentgeltlichen Beförderung auf gesetzlicher Grundlage wäre hier angebracht und wünschenswert.

Führerschein und Auto

Viele Menschen mit kognitiven Beeinträchtigung würden gern ein Auto fahren. Als Zugangsvoraussetzung ist jedoch der Erwerb eines Führerscheins erforderlich, was für die Betroffenen schwierig ist.

 Zu den wesentlichsten Hürden gehören hier:

a) die Komplexität des Straßenverkehrs,
b) das Lesen und die Interpretation der Verkehrszeichen,
c) die Beachtung der StVO sowie
d) die fehlenden Finanzmittel zum Erwerb von Führerschein und Pkw (einschließlich dessen Unterhaltung).

Personelle Assistenz 

    • Die Verbesserung einer selbstständigen Mobilität für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen im Sinne von Training ist häufig schwierig.
    • Für die außerhäusliche Mobilität spielt oftmals das Zusammenwirken von einer personellen Assistenz (Begleitperson, Begleitdienste) und sozialräumlicher Einflüsse eine entscheidende Rolle.
    • Mit Hilfe einer Begleitung können eingeschränkte Kompetenzen bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ausgeglichen werden.
    • Vor einer Begleitung durch unbekannte Personen, bestehen oft Ängste auf Seiten von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Daher ist es maßgeblich, dass die Begleitperson bereits vor einer gemeinsamen Aktivität bekannt ist. Es wird von der zu begleitenden Person häufig davon ausgegangen, dass eine ihr bekannte Begleitperson Kompromisse eher akzeptieren oder Hilfestellung geben kann.

Anpassungsstrategien

Die außerhäusliche Mobilität von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen erfordert Anpassungsstrategien wie:

a) Adaptationsstrategien oder
b) selektive Strategien.

Adaptationsstrategien

Beispiele für die Nutzung von Adaptationsstrategien sind unter anderem:

 

    • infolge von Erkrankungen die Änderung der Verkehrsmittelwahl für gemeinsame Aktivitäten mit Freunden: statt bisheriger Nutzung des Fahrrades jetzt zu Fuß.
    • bei verstorbenem Partner: statt der bisherigen Einzelreisen, jetzt alternative Reisen in der Gemeinschaft (organisierte Busreisen, Gruppenreisen). Das Handlungsziel und die Kommunikation mit anderen Menschen bleibt erhalten.

Selektive Strategien 

Zu den selektiven Strategien von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen gehören beispielsweise:

a) die Nutzung spezifisch bekannter Wege
b) die Nutzung vertrauter Verkehrsmittel
c) Vermeidung von unbekannten, unsicheren und verkehrsreichen Mobilitätsbereichen und
d) Mobilität zu bestimmten Zeiten (z. B. nachts)

Einsatz von selektiven Strategien

 

    • Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen nutzen selektive Strategien bei bestehenden Unsicherheiten und Überforderungen während der außerhäuslichen Mobilität sowie zur Unfallprävention.
    • Von Bedeutung ist der Einsatz von selektiven Strategien auch dann, wenn bei der Erledigung dringender Wege und Termine keine Begleitperson zur Verfügung steht.
    • Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen greifen auf selektive Strategien auch gern in Fällen zurück, in denen für sie keine Möglichkeit zur Nutzung eines bekannten Verkehrsmittels besteht.

Zusammenfassung:

    • Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen haben während ihrer außerhäuslichen Mobilität bei der Nutzung unbekannter Wege und Verkehrsmittel Schwierigkeiten. Sie entwickeln zu deren Bewältigung Strategien. Dies hört sich zunächst zwar recht positiv an.
      Aber diese Strategien stellen letztlich keine grundlegende Problemlösung im Interesse der Betroffenen dar. Tatsächlich werden mit den Strategien bestehende Schwierigkeiten nur umgangen und bestehen weiterhin fort.
    • Für die Pflege sozialer Kontakte und der gesellschaftlichen Teilhabe sind Maßnahmen für Verbesserungen der außerhäuslichen Mobilität für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen zu treffen. Dabei handelt es sich oftmals um keine Sonderlösungen für eine definierte Personengruppe, sondern um allgemeine Maßnahmen, die allen Menschen bei ihrer Mobilität nützlich sind.

© Mobilfuchs, 07.01.2023



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