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Braillebeschriftung von Festhaltemöglichkeiten in Fahrzeugen des Öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV)

Die zunehmende Mobilität von blinden und sehbehinderten Menschen erfordert auch eine Verbesserung der Orientierung in Fahrzeugen des Öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV). Eine wesentliche Grundlage bildet ein erleichterter Informationszugang für diese Personengruppe durch Braillebeschriftung. 

 

Bild 1 zeigt Brailleschrift auf einer Metallplatte.
Bild 1: Brailleschrift auf einer Metallplatte
Photo by Hans Braxmeier on Pixabay

    • Insbesondere in Schienenfahrzeugen werden Informationen zur Orientierung benötigt. Diese umfassen Hinweise zur Wagenklasse (1. oder 2. Wagenklasse), Informationen zum Auffinden von Sitzplätzen oder auch Richtungsangaben zum Auffinden von Bordrestaurant, WC oder dem autorisierten Zugpersonal.
    • Eine Lösung wird häufig in der digitalen Informationsvermittlung gesehen. Bei Weitem jedoch, verfügen nicht alle blinden und sehbehinderten Menschen über einen derartigen Informationszugang über das Smartphone oder iPhone. Zudem ist es in Zügen mit viel Gepäck, einem Blindenlangstock oder gegebenenfalls mit einem Blindenführhund sehr mühsam, noch zusätzlich ein Handy bedienen zu müssen. Daher kann auf die konventionelle Weise, einer Informationsvermittlung per taktilen Beschriftung (wie Braillebeschriftung), nicht verzichtet werden.
    • Für taktile Beschriftungen kommen die Profilschrift und die Brailleschrift in Betracht. Auch in Schienenfahrzeugen ist ein möglichst gutes taktiles Informationsangebot, trotz beengter Platzverhältnisse für die Anordnung taktiler Beschriftungen, wünschenswert.
    • Die Braillebeschriftung benötigt viel Platz und muss zu dem, ohne großes Suchen, leicht auffindbar sein. Es liegt daher sehr nahe, Griffe sowie horizontale und vertikale Festhaltestangen für die Beschriftung mit der Brailleschrift zu versehen.
    • In diesem Zusammenhang wird in gut gemeinter Absicht oftmals erwogen, auf senkrechten Festhaltestangen die Brailleschrift in vertikaler Richtung anzuordnen. Aber damit ist die Brailleschrift nicht mehr nutz- bzw. lesbar.

Weshalb ist eine vertikale Anordnung der Brailleschrift nicht möglich?

Zur Konstruktion eines Braillezeichens bedient man sich einer Grundform. Sie besteht aus zwei (senkrechten) Spalten und drei (waagerechten) Zeilen. So können in dieser sechs Punkte angeordnet werden. Jeder Punkt hat eine festgelegte Bezeichnung (z.B. Punkt 1, Punkt 2, Punkt 3 usw.) sowie eine unveränderbare Position in der Grundform (vgl. Bild 2).

Bild 2 zeigt die Darstellung der (horizontalen) Grundform mit zugeordneter Punktbezeichnung.
Bild 2: Grundform (in Horizontale) eines Braillezeichens                                                  ● = taktil ausgebildeter Punkt                           © Mobilfuchs

Für die einzelnen Buchstaben und Satzzeichen ist eine Punktkombination festgelegt. So stehen beispielsweise für das „d“ die Punkte 1,4 und 5 (siehe Bild 3).

Bild 3 zeigt die Darstellung der (horizontalen) Grundform mit zugeordneter Punktbezeichnung des Buchstabens „d“.
Bild 3: Buchstabe „d“ (in der horizontalen Grundform)
● = taktil ausgebildeter Punkt
© Mobilfuchs

Dreht man nun diese horizontale Grundform mit dem Buchstaben „d“ 90° nach rechts in die Vertikale (siehe unten Bild 4), findet man ebenfalls eine taktile Punktanordnung in zwei (senkrechten) Spalten vor. Geändert hat sich jedoch bei Betrachtung die Position der Punkte. Nunmehr sind die Punkte 2, 4 und 5 zu tasten. Diese Punktkombination steht in der Brailleschrift für das „j“.

Bild 4 zeigt, dass das (horizontal stehende) Braillezeichen nach rechts gekippt wurde (zwei Zeilen und 3 Spalten).
Bild 4: horizontale Grundform nach rechts in die Vertikale gedreht –Buchstabe „j“
● = taktil ausgebildeter Punkt
© Mobilfuchs

Würde man nun die horizontale Grundform mit dem Buchstaben „d“ um 90° nach links in die Vertikale drehen, ergäbe sich die Situation in Bild 5. Auch hier sind die Punkte in zwei (senkrechten) Spalten angeordnet. Zu tasten sind allerdings die Punkte 1,2 und 4 welche für das „f“ im Braillealphabet stehen.

Bild 5 zeigt, dass das (horizontal stehende) Braillezeichen nach links gekippt (zwei Zeilen und 3 Spalten) wurde.
Bild 5: horizontale Grundform nach links in die Vertikale gedreht – Buchstabe „f“
● = taktil ausgebildeter Punkt
© Mobilfuchs

Ein ähnliches Bild würde sich für fast alle anderen Buchstaben von „a“ bis „j“ bei einer Anordnung der Brailleschrift in vertikaler Richtung ergeben. Für die tastende Hand ist es nicht möglich die Leserichtung (horizontal oder vertikal) zu erkennen. Die Entschlüsselung der taktilen Informationen wird unmöglich oder kann zu Fehlinterpretationen führen.

Zur Lesbarkeit müssen die Braillezeichen exakt in einer horizontalen Zeile angeordnet sein. Findet dies keine Berücksichtigung, so kann beispielsweise aus einem „c“ mit den Punkten 1 und 4 ein Bindestrich mit den Punkten 2 und 5 (siehe Bild 6) werden. In der Folge ergibt sich für den blinden Leser ein völlig anderer Inhalt. 

Bild 6 zeigt zwei Braillezeichen mit den Punkten 1 und 4, wobei das rechte Braillezeichen nach unten verrutscht ist und die Punkte in Höhe der Punktposition von 2 und 5 stehen.
Bild 6: Braillezeichen, die nicht in einer horizontalen Linie angeordnet sind
● = taktil ausgebildeter Punkt
© Mobilfuchs

 

    • Daraus lässt sich unschwer die enge Beziehung der Punkte bzw. der einzelnen Braillezeichen untereinander erkennen. Die Stellung der Punkte eines Braillezeichens im Wort oder Satzgefüge ist entscheidend.
    • Wird beim Tasten dem Punkt 1 durch eine Fehldeutung die Position des Punktes 2 zugeordnet, so wird aus dem „a“ ein „Komma“. Das gleiche Problem tritt auf, wenn man die Braillezeichen in ihrer horizontal stehenden Grundform senkrecht übereinander (also ohne die horizontal angeordneten Zeichen um 90° in die Vertikale zu drehen) anbringt.
    • Hier besteht ebenfalls keine Erkennbarkeit, da keine unmittelbare Bezugsmöglichkeit zu benachbarten Braillezeichen bestehen würde. In diesen Fällen käme hinzu, dass der alleinstehende Punkt 1 für das Wort „aber“ steht.

 Aus diesen Gründen ist eine „lesbare“ Informationsvermittlung in Brailleschrift nur in horizontal linearer Anordnung und nicht auf vertikalen Festhaltestangen möglich.

💡 Lassen die Platzverhältnisse keine horizontale Anordnung der Brailleschrift zu, so sollte versucht werden die Begriffe durch kürzere Wörter zu ersetzen. Auch eine mehrzeilige Anordnung durch Silbentrennung ist denkbar.

 Beispiel: Restaurant
ersetzt durch:
Gast-
stätte 

 Beispiel:
Schwer-
behin-
derten-
ab­teil 

Welche Informationen sind vorzugsweise in Brailleschrift oder in Profilschrift anzubieten?

Hier gibt es keine Informationen die bevorzugt in der einen oder anderen Schriftart angeboten werden sollten. Zu empfehlen ist die gleichzeitige Anordnung beider Schriftarten. Geburtsblinde Menschen kommen eher mit der Brailleschrift zu recht. Späterblindete Menschen, vor allem im hohen Lebensalter, lernen die Brailleschrift weniger. Für sie bildet die Profilschrift eine gewisse Alternative.

In welcher Landessprache ist die Braillebeschriftung vorzusehen?

💡 Die Braillebeschriftung sollte in der jeweiligen Landessprache erfolgen. Um die taktilen Informationen auf ein vertretbares Maß zu begrenzen, sollte die Braillebeschriftung im transeuropäischen Eisenbahnverkehr vorzugsweise nur in englischer Sprache vorgesehen werden.

Weshalb sollte der Zeilenabstand bei der Braille-beschriftung größer sein, als es die DIN 32976 vorsieht?

Der Vorschlag, einen etwas größeren Zeilenabstand für die Brailleschrift zu wählen, dient der besseren Erkennbarkeit der einzelnen Zeilen und soll damit die Lesbarkeit der Brailleschrift erleichtern.

Zusammenfassung:
Es besteht eine enge Beziehung der Punkte bzw. der einzelnen Braillezeichen zueinander. Die Stellung der Punkte eines Braillezeichens im Wort oder Satzgefüge ist entscheidend. Es muss eine unmittelbare Bezugsmöglichkeit zu benachbarten Braillezeichen bestehen.

Für die tastende Hand ist die Anordnung der Braillezeichen und damit die Leserichtung – horizontal oder vertikal – nicht möglich zu erkennen. Die Entschlüsselung der taktilen Informationen wird unmöglich oder kann zu Fehlinterpretationen führen.

Aus diesen Gründen ist eine Anordnung der Brailleschrift in vertikaler Richtung auf senkrechten Festhaltestangen nicht möglich, da sie auf diese Weise nicht mehr nutz- bzw. lesbar ist.

 Dagegen sind Braillebeschriftungen auf horizontal verlaufenden Festhaltestangen möglich. Hier sollte die Beschriftung analog der Handlaufbeschriftung erfolgen. Ausführliche Informationen finden Sie hierzu auf der Website „Taktile Handlaufbeschriftungen bieten Sicherheit und erleichtern die Orientierung

Weiterführende Links: 

© Mobilfuchs, 28.11.2021, aktualisiert am 09.10.2023



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